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gscheit g’scheitert – und weiter geht’s hoffentlich ohne Kwatsch

Bild eines vorbildlichen Etherpads

Natürlich berichtet jeder lieber über seine Erfolgserlebnisse und die geglückten Lehrmethoden, doch leider läuft im Unterricht nicht immer alles nach Plan. Was daheim am Schreibtisch noch als glänzende Idee erschien, entpuppt sich im Unterricht doch manchmal als völliger Reinfall. Nichtsdestotrotz: Im Nachgang denkt man über die Ursachen des Scheiterns nach und zieht seine Schlüsse. Insofern bin ich gscheit g’scheitert, doch es geht weiter.

Worum geht es genau?

Vom 4K-Modell des Lernens und meinen Versuchen, meinen Unterricht in diese Richtung zu entwickeln, habe ich schon an anderer Stelle geschrieben. Siehe 20 Spaghetti – und ganz oben prangt ein Marshmallow , Bienen, Videos und Penetrationstests in Tramin – doch wo bleiben die Jobs? Nur kurz: Die vier Ks werden oft auch als die „21st century skills“ bezeichnet und stehen für Kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation und Kollaboration. Mit ihnen ausgestattet, so die These, sind die Schüler fit für die (digitale) Zukunft, in der Computer und Maschinen menschliche Arbeit nicht nur übernehmen, sondern sogar besser erledigen können.

Nun wollte ich das K der Kollaboration in den Mittelpunkt einer Unterrichtsstunde stellen. Der Lehrplan im Fach SWR der FOS 12 beinhaltet u. a. den Lernbereich „Personal“. Nachdem wir für ein soziales Unternehmen den Personalbedarf ermittelt hatten – konkret ging es um die Stelle des Pflegedienstleiters – stellten wir uns die Frage, woher der Mitarbeiter kommen sollte. Soll die frei werdende Stelle besetzt werden, so kann dies aus der bisherigen Belegschaft erfolgen (interne Stellenbesetzung) oder man sucht außerhalb des Unternehmens nach geeigneten Kandidaten (externe Stellenbesetzung). Jede dieser Möglichkeiten bietet ihre spezifischen Vor- und Nachteile, auf die man durch Nachdenken recht schnell kommen kann. Aus diesem Grund habe ich zu diesem Thema ein vhspad erstellt, in das die Schüler die gefundenen Vorteile der Methoden eingeben sollten.

Für die Schüler meiner S12 war die gemeinsame Arbeit (Kollaboration) in einem Pad neu, weshalb ich sie zunächst für 5 Minuten auf einer „Spielwiese“, einem markierten Bereich des Pads, die Möglichkeiten (und Gefahren) der Arbeit an einem Pad erforschen ließ. Nämlich: Alle Schüler können an diesem Pad mitschreiben (zur Unterscheidbarkeit jeder in einer anderen Schriftfarbe) und alle Schüler können die Texte der anderen verändern (und sogar auch löschen!).

Nach der Erprobungsphase sollten die Schüler dann also Vorteile der Besetzungsmöglichkeiten finden und beschreiben. Wer die Beschreibung eines Mitschülers nicht verständlich oder zu knapp fand, konnte sie korrigieren oder durch eine Bemerkung ergänzen. Auf diese Art sollte ein gemeinsames Endprodukt entstehen, das den Wissensstand und das Niveau der gesamten Klasse widerspiegelt.

Soweit der Plan!

In der Praxis sah es dann leider so aus, dass die Schüler von den Möglichkeiten des Pads so fasziniert waren, dass sie sich nur zu Unfug hinreißen ließen. 30 Minuten wurde fast nur Nonsens geschrieben: u. a. Liedtexte („Hölle, Hölle, Hölle“), alberne Witzchen und Spekulationen über Ulfs sexuelle Orientierung. Meine wiederkehrenden Ermahnungen und die Erinnerung an die Aufgabe blieben erfolglos. Wir beendeten die Arbeit am Pad, gingen zurück ins Klassenzimmer und sprachen über dieses inadäquate Verhalten.

Meine Erkenntnis der Stunde

Die Schüler beherrschen die Technik des Schreibens eigener und des Editierens fremder Beiträge. Woran es noch fehlt ist die Bereitschaft, sich ernsthaft mit den zu bearbeitenden Fragestellungen zu beschäftigen. Möglicherweise liegt das auch daran, dass jeder Schüler nur über seine Schriftfarbe, nicht namentlich zu identifizieren ist.

Nachdem ich über diese Erfahrung tags drauf im Twitterlehrerzimmer berichtet hatte, meldeten sich „Leidensgenossen“ bei mir, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Einer schrieb: „Klassiker! Toll, dass Du den Mut hattest, es hier zu posten!“ Und: „Wirklich ein Klassiker! Eine Runde mitlachen, die Sachen löschen und mit der Arbeit weitermachen.“ Ein anderer: „Falls es dich beruhigt: Meine Studierenden sind auch immer aus dem Häuschen. Und jeeedes Mal schreibt jemand Pe***! Ich lasse alles 5 Min. ausarten, zeige dann die Rückspul-Funktion und erinnere an den Arbeitsauftrag. Dann geht es meistens.“

Meine Lehren für die weitere Arbeit mit Pads

Mehr Zeit für den Spieltrieb lassen. Geplante fünf Minuten waren den Schülern evtl. zu wenig, um sich austoben zu können. Es bringt aber bestimmt nichts, diese Phase „nach Hause“ zu verlagern, sprich die Schüler erproben die Arbeit an einem Pad daheim. Der Reiz des Unfugs verliert an Strahlkraft, wenn dabei nicht die Unterrichtszeit, sondern die Freizeit draufgeht.
Die Schüler sind unbedingt an ihre Eigenverantwortung zu erinnern, z.B. indem man klar macht, dass das Pad den Hefteintrag ersetzt und die Inhalte anschließend nicht mehr im Unterricht aufgegriffen werden.
Ein anderer Lehrer berichtet, dass er in ähnlichen Situationen den Schülern Ausdrucke des Pads mit nach Hause gab, um sie von den Eltern unterschreiben zu lassen. Danach hätte es bei der Arbeit mit den Pads keine Probleme mehr gegeben und auch die verbalen Beleidigungen im Klassenzimmer seien zurückgegangen.

Fazit

Die Arbeit mit Pads ist zeitgemäß, doch den Schülern muss über die Phase des Spiels und Blödsinns hinweggeholfen werden, damit das letzte „K“ für Kollaboration steht, und nicht für Kwatsch!

Nachtrag

In der Zwischenzeit habe ich in einer W12 mit Pads gearbeitet. Die Schüler hatten im Fach Informatik kollaborativ Informationsstrukturen zu verfassen, für die in den nächsten Wochen Datenbanken erstellt werden. Die Ergebnisse zwischen den beiden Klassen und der Arbeit mit den Pads könnten unterschiedlicher fast nicht sein. Worauf könnten die Unterschiede zurückzuführen sein?

  • Ich hatte den Schülern zu Beginn ausführlich erklärt, welche Absicht ich mit der Arbeit mit Pads verfolgte und welche Vorteile die gemeinsame Erstellung von Dokumenten hat (vgl. Wikipedia) und berichtete ihnen dann auch von den Erfahrungen in der Sozialklasse. Zur Veranschaulichung hatte ich ihnen auch das gemeinsam erstellte Pad der S12 gezeigt.
  • Ich hatte den Schülern der W12 ganze 10 Minuten Zeit gegeben, um die Arbeit mit Pads auf einer „Spielwiese“ kennenzulernen und um sich beim Quatschmachen auszutoben. Hier war allerdings zu beobachten, dass die meisten Schüler bereits nach fünf Minuten die Lust daran verloren hatten, die Beiträge der anderen Schüler zu verändern oder gar zu löschen. Vielleicht ist es nicht so reizvoll, Quatsch zu machen, wenn der Lehrer dazu aufgefordert hat.
  • Des Weiteren hatte die W12 nicht an einem einzigen, sondern an sechs unterschiedlichen Pads gearbeitet, was bedeutete, dass nicht 25, sondern jeweils drei bis vier Schüler beieinandersaßen und zusammenarbeitet hatten. (Das ist zwar noch nicht die ganz große Kollaboration, doch ein Anfang ist gemacht.)