Im Folgenden möchte ich Ihnen ein paar meiner Erfahrungen mit Flipped Classroom mitteilen, die Ihnen helfen sollen, selbst erste Flip-Erfahrungen zu sammeln.
1. Sie müssen nicht gleich ein Video produzieren.
Geben Sie Ihrer Klasse die Hausaufgabe, ein Kapitel im Buch durchzuarbeiten und die für sie wichtigen/neuen Inhalte als Hefteintrag zu formulieren (je nach Alter der Schüler). Es bietet sich an, auch eine erste Aufgabe zu diesem neuen Thema rechnen zu lassen.
In der Stunde dann können Sie kurz (!) auf offene Fragen eingehen und dann mit Übungen beginnen.
2. Stellen Sie sicher, dass alle Schüler die Videos auch anschauen können.
Natürlich gibt es noch Schüler die keine Smartphones besitzen und Familien, die keine (schnelle) Internetverbindung haben. Auch wenn dies sicher die Ausnahme ist, so müssen Sie dennoch auch für diese Schüler die Videos zugänglich machen. Dazu können CD-ROMS oder USB-Sticks dienen, auf denen Sie das relevante Video gespeichert haben und dem Schüler mit nach Hause geben. Je nach Alter der Schüler kann es erforderlich sein, deren Eltern über diese Methode zu informieren und ihnen zu erklären, dass das Anschauen der Videos grundlegender Teil des Konzepts ist.
Unsere Schule ist „Referenzschule für Medienbildung“, und wir haben schon vor Jahren in den Aufenthaltsräumen Computer mit Internetzugängen eingerichtet, an denen die Schüler ohne heimisches Internet arbeiten können.
3. Die Schüler müssen lernen, Videos zu schauen.
Manche Schüler denken, es reicht, das Video zu starten und dann abspielen zu lassen, um danach schlauer zu sein. Falsch! Die Schüler müssen sich beim Schauen permanent fragen, ob sie dem Gesagten noch folgen können, andernfalls müssen sie zurückspulen bis zu der Stelle, wo sie noch dabei waren. Und das evtl. mehrmals. Sebastian Stoll macht mit seinen Schülern ein Experiment: Er zeigt live im Unterricht ein Video, in dem gezeigt wird, wie man einen bestimmten Papierflieger bastelt. Im Anschluss teilt er Papier aus und fordert die Schüler auf, diesen Flieger herzustellen. Die Reaktionen der Schüler sind zugleich auch deren Erkenntnisse: „Können Sie nochmal bis zum zweiten Schritt zurückspringen?“; „Bitte nochmal von vorne.“; „Das war zu viel auf einmal!“
4. Die Schüler müssen die Videos anschauen.
Was eigentlich banal klingt, ist trotzdem eine zentrale Voraussetzung. Video anschauen ist Hausaufgabe und Hausaufgaben sind Pflicht. Und zwar so oft, bis die Inhalte verstanden wurden. Evtl. werden Schüler sagen, dass sie das Thema nicht verstanden haben, doch auf keinen Fall dürfen Sie in der Stunde dann die Inhalte des Videos in Gänze wiederholen. Fragen Sie gezielt nach, was nicht verstanden wurde. Und wenn Sie bemerken, dass das Unverständnis darauf zurückzuführen ist, dass das Video nicht geschaut wurde, erklären Sie nochmals den Sinn und die Vorteile von FC.
Steve Kelly, ein langjähriger Flipper aus den USA, wurde gefragt was man tun solle, wenn die Schüler die Videos nicht schauten. Er antwortete lächelnd: „Make their life painfull!“
Also: Die Schüler müssen spüren, dass das Nichtanschauen der Videos ihnen Nachteile bringt.
Hier finden Sie Anregungen, was mit unvorbereiteten Schüler zu tun ist.
5. Beginnen Sie kostenlos oder günstig.
Sie können eine PowerPoint-Präsentation vertonen, die Sie mittels Screencasting aufnehmen (Ton und Bild). Als Screencastingsoftware empfehle ich Screencast-O-Matic in der kostenlosen Basisversion. Für die Tonaufnahme kann evtl. das eingebaute Mikrophon Ihres Computers ausreichen. Experimentieren Sie einfach mal und hören Sie sich das Ergebnis an. Übrigens: (Fast) kein Mensch ist mit seiner Stimme zufrieden, Sie brauchen auch keine professionelle Sprecherstimme für die Videos. Ich kenne keinen einzigen Kommentar zu einem Erklärvideo im Netz, in dem die Stimme des Sprechers kritisiert wird. Wohl aber haben Sie darauf zu achten, deutlich und nicht zu schnell zu sprechen.
6. Die optimale Länge eines Videos liegt zwischen 3 und 10 Minuten.
Sollten Sie längere Einheiten planen, sollten Sie überlegen, ob sich das Thema nicht splitten lässt (z. B. zunächst die Theorie und dann im nächsten Video ein Beispiel dazu).
Schüler bevorzugen kürzere Videos und damit kleine Lernschritte.
7. Die Aufnahme.
Ich empfehle Ihnen, bei der Aufnahme kein ausformuliertes Skript vorzulesen. Das wirkt zwar möglicherweise professionell, doch nicht unbedingt authentisch. Machen Sie sich zu den einzelnen Folien der Präsentation evtl. Notizen, mehr aber nicht. Natürlich werden Sie sich bei der Aufnahme versprechen und den einen oder anderen kleinen Hänger haben. Aber, das passiert Ihnen bestimmt auch im Unterricht (mir jedenfalls). Und im Video wie im Unterricht gilt: Versprecher korrigieren und gut is.
8. Gestalten Sie Ihre Videos unterhaltsam.
Auch trockene Materie lässt sich in einem Video halbwegs ansprechend erklären. Nutzen Sie dazu dynamische Elemente wie Pfeile oder Hervorhebungen. Setzen Sie Bilder ein (Urheberrecht beachten!) oder überraschen Sie die Zuschauer mit kleinen Gags. Ich fordere meine Schüler immer wieder auf, das Video anzuhalten und selbst eine Aufgabe zu lösen, die dann im Video besprochen wird. Ich versuche, die Videos durch den Einsatz von „Speechies“ unterhaltsam zu gestalten.
9. Videobearbeitung.
Wenn sich bei den Aufnahmen doch größere Hänger eingeschlichen haben, so können Sie diese dank Videobearbeitung recht einfach rausschneiden. Ich nutze dazu den Windows Movie Maker (ebenfalls ein kostenloses Programm). Außerdem stelle ich mit Hilfe dieses Programms den Videos das Intro voran.
10. Der Weg des Videos zum Schüler.
Meine ersten Videos hab ich auf Vimeo hochgeladen und den Schüler dann den Link zum Video geschickt. Vimeo bietet auch eine kostenlose Basisversion an, bei der jedoch das Upload-Volumen auf 500 MB pro Woche und 25 GB pro Jahr beschränkt ist. Außerdem dauert die Konvertierung des Videos in der Basic-Version mehr als eine Stunde. Das sind aber zwei Einschränkungen, mit denen man als Beginner leben kann. Vimeo bietet einen Passwortschutz für die Videos an. Wenn Sie also nicht wollen, dass jedermann Ihr Video anschauen kann, nutzen Sie diese Option.
Ich bin mit meinem Kanal mittlerweile zu YouTube umgezogen. Der Hauptgrund war einfach der, dass Vimeo an unserer Schule wegen der Sicherheitseinstellungen nicht funktionierte.